Berufung

Liebe Leser,

ich bitte um Entschuldigung, dass ich so lange mit dem Schreiben ausgesetzt habe. Andere Dinge hielten mich ab, kreativ schreiben zu können. Ich leite nun schon seit vielen Jahren die Schauspielschule SSA in Düsseldorf und bin seit mehr als 35 Jahren in meinem Beruf tätig. Die Schule wurde in einer alten Weberei in einem kleinen Keller gegründet. Mein Lebensweg ließ zu Beginn nicht vermuten, dass ich diesen einschlagen würde. Es war auch nicht mein Ziel. Ich wollte immer literarisch tätig sein. Lesen und Literatur waren schon von Kindesbeinen an meine Leidenschaft. Mit den Jahren verfasste ich an die 350 Werke. Theaterstücke, Drehbücher, Geschichten, Kurzgeschichten, Dialoge, Monologe, Szenen u. Gedichte. Warum ich nun heute auf das Thema Berufung komme, das möchte ich gerne erläutern. Zunächst noch etwas zu mir: Ich schrieb vor mehr als 30 Jahren ein Theaterstück ohne zu wissen, wie das überhaupt geht und ob die Form richtig ist oder die Länge eines 1 ½-stündigen Theaterstückes hat. Meine erste Geschichte „Die Vergangenheit“ wurde uraufgeführt, damals noch von einer Laientheatergruppe, die ich ins Leben rief. Wir nannten uns LaFrathe. Die Erfolge waren grandios. Das Schauspiel, die Literatur, die Arbeit mit den Menschen, all das wurde in mir entfacht und ließ mich seither nie wieder los. Ich vertiefte meine Kenntnisse in der Schauspielerei, schrieb ein Theaterstück nach dem anderen, zudem las ich alles, was mir in die Hände fiel über Schauspiel, Regie, Bühnen- und Filmarbeit.  Nachdem ich in zahlreichen Theaterstücken auf der Bühne stand und gleichzeitig Regie führte, ließ ich mich zur Theaterpädagogin ausbilden. Ich arbeitete als Filmschauspielerin, schrieb dann für diverse Filmproduktionsfimen TV-Drehbücher, lernte mit der Kamera umzugehen, vertiefte immer wieder das Fach Schauspiel und war fasziniert davon zu welchen Leistungen jemand fähig ist, wenn er sich öffnet und darauf einlässt.  Ich lernte die Unterschiede kennen zwischen Bühnen- und Filmarbeit und saugte alles Wissen wie ein trockener Schwamm auf. Meine Lernwilligkeit ist bis heute ungebremst. Jeder Lehrer, Dozent, Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler, Kameramann und war mein Mentor. Leider stelle ich aber auch mit der Zeit fest, dass viele Menschen Schauspieler werden wollen, die schon charakterlich überhaupt nicht das Zeug dazu haben. Vielleicht ist zwar ein wenig Talent vorhanden, aber das reicht bei Weitem nicht. Wenn Schüler ihre eigene Fehlbarkeit suchen bei Dozenten, den Mitschülern, den Texten… wie soll er sich dann weiter entwickeln? Woraus soll dieser Mensch schöpfen? Sich selbst zu suchen, kennenzulernen und zu entwickeln, das ist der Beginn schauspielerischer Schöpfung. Auch Demut gehört dazu. Denn: „Wer glaubt schon alles zu sein, hat aufgehört etwas zu werden.“ Die Psychologie der Rolle, zu verwachsen mit einem fremden Charakter um ihn dann wieder loszulassen, das ist magisch. Schauspielerei ist ein so wertvoller, aufrichtiger Beruf, dass es mich immer wieder berührt, wenn ich Wahrhaftigkeit im Spiel sehe. Wie kein anderer Beruf muss er für den Lernenden Berufung sein. Jeder Sportler, Musiker, Tänzer, Maler, Bildhauer arbeitet an seinen Stärken aber auch, und dazu gehört unendlich viel Mut, an seinen Schwächen. Das muss ein Schauspieler tun. Immer vor allem an sich selbst arbeiten. Es fliegt einem nichts zu. Und keine Schule kann etwas vermitteln, wenn der Schüler es nicht annehmen kann oder will. Wenn ein Schüler nicht bereit ist von seinem Lehrer zu lernen, dann kann man ihm auch nichts beibringen. Aber dann zu sagen, dass die ein oder andere Schule „schlecht“ sei, das ist in höchstem Maße anmaßend. Ich höre das immer wieder, auch von neuen Bewerbern, die an anderen Schulen gescheitert sind. Die nehmen wir in der Regel nicht auf.  „Ich werde mein Leben einsetzen für die Kunst der Schauspielerei, damit sie verstanden wird“ Das war und ist mein Ziel. Unsere Dozenten sind sorgfältig ausgewählt, keiner macht beliebigen Unterricht. Alles ist aufeinander abgestimmt. Ein Schüler kann es annehmen oder ablehnen und ist es oft auch besser, er verlässt die Schule. Wer keine Zeit habt, sich selbst zu entwickeln, andere mit in ihre negativen Gedanken ziehen um sich stark zu fühlen, sich selbst für das Non plus Ultra hält, hat an keiner Schauspielschule etwas zu suchen. Früher war es unendlich schwer, überhaupt zum Schauspieler ausgebildet zu werden. Heute kann das im Grunde fast jeder, der ein gewisses Maß an Grundtalent besitzt. Aber fünf Säulen sind unverzichtbar: Ehrlichkeit – Pünktlichkeit – Kritikfähigkeit – gesunde Eigenwahrnehmung – Ausdauer –  Sanfort Meisner sagte einst: „Es braucht annähernd 20 Jahre, um ein guter Schauspieler zu werden.“ Ich muss dem großen Meister ein wenig widersprechen. Ein guter Schauspieler braucht ein Leben lang, er wird niemals fertig. Es geht in unserer Schule genau um diese Sache. Wir gehen gerne mit unseren Schülern den 3jährigen Weg bis zur Reifeprüfung. Danach kommt das Leben da draußen. Da ist rau und hart. Unehrlich und versnobt. Nicht fair und nicht gerecht. Man ist immer der Kritik anderer Menschen ausgesetzt, die man meist selbst nicht mal persönlich kennt. Missgunst und Neid… Es gibt kaum Leute, die es wirklich aufrichtig und gut mit einem meinen. Es gibt selten „door-opener“. All das und sicherlich noch viel mehr Hürden warten da draußen. Aber bis dahin versuchen wir, unsere Schüler, die uns im Laufe der Zeit sehr verbunden und ein Teil unseres eigenen Lebens geworden sind, um die wir uns sorgen, für die wir da sind in guten wie in schlechten Zeiten, die wir unterstützen, wenn ihre Zeit gekommen ist, die wir loslassen müssen, wenn sie gehen (wollen), diesen Schülern versuchen wir Flügel zu verleihen. Und niemand kann hinterher sagen, dass es leicht war. Es ist verdammt hart und schwer. Dafür sind unsere Unterrichte auch bekannt. Fordernd und unerbittlich, wenn wir merken, einer ist kurz vor dem Ziel und will aufgeben. Wir bilden eine Symbiose und lassen nicht locker. Und es macht den Schüler nicht immer „Spaß“. Aber am Ende, wenn wir den gemeinsamen Weg gegangen sind, bleiben Freundschaften zurück, die tiefer gehen als nur das Verhältnis Lehrer/Schüler. Weil wir uns kennen. Weil wir zueinanderstehen, weil wir gestritten haben, weil wir nicht immer perfekt waren und vor allem, weil wir einander vertrauten. All denen, die Misstrauen, sage ich: „Schaut in euch und stellt euch die Frage: „Warum wolltet ihr Schauspieler werden?“ Wenn man das auf den Buddhismus herunter bricht, muss ein Schauspieler lernen demütig zu sein und kämpfen lernen. Wer Demut vor dieser großen Herausforderung hat, bekommt bei uns eine Chance. All denen, die in die Unterrichte kommen möchten, um sich bespaßen zu lassen, sich zurücklehnen wollen und glauben es würde reichen, an einer Schauspielschule aufgenommen worden zu sein wünschen wir viel Glück für ihren weiteren Lebensweg. Für diese Schüler ist der Weg damit bei uns beendet. Manchmal auch weil sie selber merken, dass sie es nicht schaffen können, da sie sich selbst im Weg stehen. Andere Mitschüler dann mitzureißen, wie ein fauler Apfel im Obstkorb, Unterrichte und Dozenten zu sabotieren, das ist die schlechteste Eigenschaft überhaupt. Mit solchen negativen Eigenschaften haben schon geschichtliche große Ereignisse begonnen. Ein Schauspieler, ein gefestigter Mensch, hat so etwas nicht nötig. Es sind die Schwachen, die sich nur in der Gruppe stark fühlen. 

Schauspiel ist eine Reise zu sich selbst. Der Blick nach innen. Ich möchte jedem Schüler, egal auf welcher Schule er ist, mit auf den Weg geben: Die Literatur ist der Blick in die Welt. Klassische Werke genauso wie neuzeitliche Literatur. Eintauchen in fremde Welten. Lesen bedeutet im hier und jetzt zu sein und gleichzeitig in einer anderen Welt. Das bildet den Charakter. Danke fürs Lesen und eine schöne Zeit bis zum nächsten Mal. 

Eure Carmen Sanne-Salomon

Direktorin der Stageschool Salomon Academy in Düsseldorf

Veröffentlicht in Schauspiel-Blog von Carmen Sanne- Salomon.

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